Als Biomutant angekündigt wurde, versprachen uns die Entwickler eine neuartige Erfahrung zu bieten, wie wir sie in noch keinem anderen Spiel gesehen haben. Ein Charakter, den wir bis zur Genetik anpassen können und jede erdenkliche Waffe führen kann, ein Crafting-System, mit dem wir praktisch alles herstellen dürfen, ein Moral-System, welches uns zwischen Gut und Böse wählen lässt und eine Open World, die selbst Skyrim in den Schatten stellt. Mit diesen Zutaten hätte Biomutant wirklich ein Top Hit werden können, übrig bleibt aber die Tatsache, dass die Entwickler ihr hochgestecktes Ziel nicht erreichen konnten.
WITZIGE KREATUR
In Biomutant schlüpfen wir in die Rolle einer mutierten, nagetierähnlichen Kreatur, die wir im umfangreichen Charaktereditor nach unseren Wünschen anpassen können. Eine seltsame Mischung aus Eichhörnchen, Ratte und jedem anderen wuselnden Vieh, alles kein Problem. Die Wahl der Rasse wirkt sich bis zu einem gewissen Grad auf die Startwerte aus, und wir können Punkte in bestimmte Attribute investieren, wenn wir zum Beispiel mehr Nahkampfschaden austeilen oder unsere Chancen beim Tauschhandel mit Händlern erhöhen wollen. Der Charaktereditor bringt dabei eine gewisse Portion Charme mit sich, da sich passend die Körperform ändert, je nachdem, welche Attribute wir hervorheben möchten, wie zb. ein großer Kopf für Intellekt sowie ein großer Bizeps für Stärke. Letztendlich sind die Anfangsattribute jedoch nicht besonders wichtig, da wir diese bei jedem Levelaufstieg um 10 Punkte verbessern können.
Ein weiterer Teil der Charaktererstellung beinhaltet die Wahl einer Klasse, die sich sowohl auf die Startwaffe als auch auf das Hinzufügen einer einzigartigen Fähigkeit auswirkt. Der Kommando zum Beispiel fügt 10% mehr Schaden mit Fernkampfwaffen zu, während der Psi-Freak einen Blitzangriff erhält. Diese Fähigkeiten sind zwar nicht Spielentscheidend, sorgen aber für Abwechslung in späteren Durchläufen.
Selbst wenn ihr euch für eine bestimmte Klasse entscheidet, könnt ihr immer noch Psi-Kräfte und Biogenetik einsetzen und jeden der verfügbaren Waffentypen verwenden. Biomutant bieten dem Spieler eine willkommene Freiheit, das Spiel so spielen zu können, wie man es eben spielen möchte. Das Einzige, was euch bestimmte Fähigkeiten verwehrt, ist das sogenannte Aura-System. Das Aura-System von Biomutant ist in eine helle und eine dunkle Seite aufgeteilt, wobei gute und schlechte Taten euren Rang in beiden Seiten beeinflussen. Es ist ein typisches Moral-System, bei dem eure Taten und Dialog-Entscheidungen direkte Auswirkungen darauf haben. Ihr seid ein Bösewicht der durch die Welt zieht und sämtliche Dörfer auslöscht? Oder seid ihr die hilfsbereite Ratte von nebenan? Biomutant stellt euch ständig vor die Wahl! Für jede gute Aktion erhaltet ihr Helle Aura Punkte und für jede miese Aktion dunkle. Je nach Gesinnung schaltet ihr spezielle PSI-Fähigkeiten frei, die nur der dunklen oder der hellen Seite der Macht zugänglich sind.
ERNÜCHTERNDE STORY
In Wahrheit haben die meisten eurer Entscheidungen nur einen unbedeutenden Einfluss auf die Geschichte von Biomutant. Die größte Entscheidung, die ihr treffen müsst, fällt innerhalb der ersten Stunde, als ihr aufgefordert werdet, welchem von zwei Stämmen ihr euch anschließen wollt. Während der Stamm der hellen Seite möchte, dass ihr die anderen Clans vereint und vier tödliche Weltenfresser besiegt, um die Welt zu retten, würde der Stamm der dunklen Seite es bevorzugen, wenn ihr genau das Gegenteil tut. Diese Entscheidung legt im Wesentlichen euer übergeordnetes Ziel fest und beeinflusst somit auch das Spielende. Die Missionen dazwischen sind aber davon nicht betroffen. Der Sieg über die Weltenfresser und die Eroberung der anderen Stämme machen so oder so den Großteil des Spiels aus, und die Geschichte ist einfach nicht interessant genug, um eure Entscheidungen sinnvoll erscheinen zu lassen.
Der Baum des Lebens liegt im Sterben! Ein giftiges Ölleck an den tiefen Wurzeln des Baumes beginnt an Land aufzutauchen und verschmutzt die Welt. Gleichzeitig wird jede der fünf Wurzeln, die den Baum schützen sollen, von großen Kreaturen angegriffen, die als Weltenfresser bekannt sind. Die Weltenfresser nagen an den Wurzeln des Baumes und zerstören das Gleichgewicht der Welt. Die Stämme kämpfen untereinander und sind sich nicht einig, wie sie die Weltenfresser abwehren sollen. Und genau hier kommen wir mit unserer Kung-Fu Ratte ins Spiel! Biomutant greift zwar ein zentrales Thema unserer Zeit auf, schafft es aber leider nicht, den Spieler in den Bann zu ziehen.
Die Story kontextualisiert euren Fortschritt und bleibt mehr oder weniger über den gesamten Zeitraum alleiniges Mittel zum Zweck. Die Anwesenheit des liebenswürdigen Erzählers verleiht der Story zwar etwas Persönlichkeit, kann das Ganze aber nicht stimmig abrunden. Zumal der Erzähler auch als Übersetzer für jeden Charakter im Spiel fungiert. Die ungewöhnliche Art der Erzählung ist zu Beginn wirklich unterhaltsam, aber schon nach einiger Zeit fängt diese bereits an zu nerven. Denn sämtliche Kreaturen, auf die wir im Laufe der Geschichte stoßen, bitten uns nicht direkt um Hilfe, sondern werden von unserem Erzähler übersetzt.
Dadurch haben es die teils wirklich gelungenen Charaktere wirklich schwer, sich gegenseitig abzuheben, da alle von der gleiche Stimme vertreten werden. Der Schreibstil tut der Besetzung in dieser Hinsicht auch keinen Gefallen, da die meisten Charaktere nur dazu da sind, Exposition und Überlieferungen auszuspucken, bevor sie uns auf eine Fetch Quest schicken. Mir ist klar, dass man sich viel Mühe gegeben hat, die Hintergrundgeschichte dieser postapokalyptischen Welt auszufüllen – oder zumindest so viele verrückte Namen wie möglich einzubauen, aber wenn man sie in einer verbalen Salve erzählt bekommt, die jeden Sinn für Charaktere vermissen lässt, ist das keine fesselnde Art, sie zu absorbieren.
MONOTONES MISSIONSDESIGN
Das einfallslose Missionsdesign verstärkt die Unzulänglichkeiten der Geschichte, da die Aufgabe, alle vier Weltenfresser zu besiegen, immer auf ein formales Hin und Her hinausläuft. Um zu den Weltenfressern zu gelangen, bedarf es nämlich unterschiedlicher Fahrzeuge, welche uns von verschiedenen Charakteren zur Verfügung gestellt werden. Doch diese Fahrzeuge müssen zuvor repariert werden! Wir begeben uns also auf die Reise um die benötigten Teile zu besorgen und das Ganze wiederholt sich, bis wir sämtliche Bereiche abgeschlossen haben. Die Fahrzeuge selbst, bieten hingegen eine nette Abwechslung, unter anderem stehen ein riesiger Mech und ein bewaffnetes Schnellboot auf dem Programm. Seltsam ist aber, dass wir das ganze Spiel damit verbringen, unseren eigenen Charakter aufzubauen, nur um die größten Feinde des Spiels zu besiegen, während wir hinter dem Steuer der mächtigen Fahrzeuge sitzen.
Abseits der Hauptstory bietet uns Biomutant natürlich auch einige Nebenquests, die nur dem Zweck des Levelns dienen und zu wenig kreativ sind, um hier näher erläutert zu werden.
WUNG-FU
Das Kampfsystem von Biomutant macht stellenweise wirklich Spaß, obwohl es einige Zeit dauert, bis man den Dreh raus hat. Sobald sich euer Arsenal öffnet und ihr ein paar mehr Combos freigeschaltet habt, beginnt der Kampf seinen Groove zu finden, wenn auch einen, der von Routine diktiert wird. Unsere Ratte ist immer mit Nah- und Fernkampfwaffen ausgerüstet, und jeder Waffentyp hat seine eigenen einfachen Kombos. Wenn ihr mitten im Kampf drei verschiedene Combos ausführt, könnt ihr in einen Zustand von Super Wung-Fu eintreten, in dem ihr eure Feinde mit einem schnellen Sperrfeuer von Angriffen zerschmettern oder im Bullet-Time-Verfahren durch die Luft wirbeln könnt.
Das Kampfsystem ist also darauf aufgebaut, das Super Wung-Fu zu erreichen, so dass die meisten Kämpfe aus der gleichen dreier-Kombo-Routine bestehen. Das ist nicht unbedingt schlecht, aber das Repertoire an Combos hätte durchaus etwas umfangreicher ausfallen können und so ist man gezwungen die gleichen Bewegungen immer und immer wieder zu verwenden.
Psi-Kräfte und die mutierte Biogenetik sorgen da schon für mehr Abwechslung. Ihr könnt unter anderem eine Feuerspur legen oder euch in eine Schleimblase einhüllen, an der die Feinde hilflos kleben bleiben. Durch den geschickten Einsatz von Zeitlupen erhalten eure Angriffe eine spürbare Wirkung, und die Art der unterschiedlichen Fähigkeiten wirken sich positiv aus, Wiederholungen zu vermeiden.
ALLES WIRD ZUR WAFFE
Auf unserer Reise werden wir immer mit dem Versprechen auf Beute zum Erkunden der open World von Biomutant animiert. Obwohl wir immer wieder neue Waffen und Rüstungen finden, ist die Beute eher darauf ausgerichtet, bessere Materialien zu erhalten. Die besten Waffen im Spiel sind nämlich die selbst hergestellten! Das Crafting-System von Biomutant ist dynamisch, mit einer fast unbegrenzten Anzahl von Mixturen. Die Gegenstände, die ihr herstellt, sind im Grunde genommen wiederverwendeter Müll, da ihr wirklich jeden gefundenen Gegenstand verwenden könnt. Sei es eine übergroße Zahnbürste, die zuvor an einer Plakatwand befestigt war, oder der Griff eines kaputten Staubsaugers – alles wird zur Waffe!
Das Experimentieren mit verschiedenen Kombinationen, die eigentlich nicht funktionieren sollten, macht einen Großteil des Charmes des Crafting-Systems aus und gibt euch das Gefühl, die Kontrolle über eure unsinnigen Erfindungen zu haben. Allerdings sind sowohl Nahkampf- als auch Fernkampfwaffen in verschiedene Kategorien unterteilt, wie z.B. einhändige Hiebwaffen, automatische Gewehre und so weiter. Die Waffen innerhalb dieser Kategorien unterscheiden sich nicht sonderlich voneinander, was dem Crafting-System etwas von seinem Glanz nimmt. Sich mit einer neuen Waffe in den Kampf zu stürzen, die einen erhöhten Schaden verursacht, ist jedoch sehr motivierend und weckt in uns den Sammeltrieb.
LEBLOSE OPEN WORLD
Grafisch kann sich Biomutant durchaus sehen lassen. Speziell auf den next gen Konsolen wirkt die Präsentation hübsch, bunt und auf jeden Fall ansprechend. Auch die einzelnen Charaktere sind liebevoll gestaltet und runden die Atmosphäre gelungen ab. Wäre da nicht die teils leblose Welt! Biomutant hat so viele abgedrehte Kreaturen und das postapokalyptische Setting hätte so viel Potenzial, eine unzählige Artenvielfalt in der Welt zu platzieren. Aber dem ist nicht so, denn in Biomutant sind wir leider viel zu oft die einzige Ratte, die nach irgendwelchen Teilen sucht.
Hinzu kommen die zahlreichen Performanceeinbrüche, Abstürze und die extremen Ladezeiten. Leider profitiert Biomutant nicht von der aktuellen Konsolengeneration, da es ausschließlich für die last Gen entwickelt wurde. Zudem hat das Spiel auf der PS5 (Abwärtskompatibilität) mit technischen Problemen zu kämpfen, was sich an der Auflösung bemerkbar macht. Diese ist nämlich auf 1080p begrenzt und wird von der Playstation 5 auf 4K hochskaliert. Das hört sich jetzt schlimmer an als es ist (Biomutant sieht auch so wirklich hübsch aus), aber es gibt dennoch einen kleinen Einblick in die teils instabile Technik.