Meiner Erfahrung nach zeichnen sich großartige Open-World-Rollenspiele wie The Witcher 3 oder Skyrim nicht nur durch die Stärke der Hauptstory aus, sondern auch durch die Nebenmissionen, die sie umgeben. Mit Cyberpunk 2077 hat CD Projekt Red diese Philosophie aufgegriffen und ein richtig gutes Spiel daraus gemacht, zumindest auf dem PC. Abgesehen von der überraschend kurzen, aber dennoch äußerst fesselnden Hauptstory, ist der Großteil dessen, was ihr in Night City tun könnt, völlig optional aber oft dennoch extrem einflussreich auf eurer Reise. Doch diese freiere Struktur bleibt nicht ohne Fehler, denn Cyberpunk kämpft immer wieder mit sehr ablenkenden Bugs, aber die Stärke der Missionen selbst – optional oder nicht – und die Wahl, vor die euch das Spiel immer wieder stellt, machen Cyberpunk 2077 zu einem der aufregendsten und abgefahrensten RPGs, die ich in den letzten Jahren gespielt habe.
WILLKOMMEN IN NIGHT CITY
In Cyberpunk 2077 schlüpft ihr in die Rolle von V, einem Söldner in Night City, der mit der Psyche des längst verstorbenen Rockstars und Anti-Konzern-Terroristen Johnny Silverhand in seinem Kopf gefangen ist. Johnny, gespielt von Keanu Reeves, ist ein wunderbar unsympathischer Chaot – auch wenn Reeves steife Performance mit Abstand die schwächste einer ansonsten extrem beeindruckenden Besetzung ist.
Dennoch ist Johnnys konfrontative Beziehung zu V und das letztendliche Wachstum zwischen ihnen der Anker dieser Geschichte, während ihr darum kämpft, eine Lösung für das gemeinsame Chaos zu finden, in dem ihr euch befindet.
Und so beginnt eine spannende Reise, die einem durch den sehr gelungenen Prolog, für den ich alleine über 5 Stunden benötigt habe, tief in die Atmosphäre eintauchen lässt. Der Prolog ist im Vergleich zu dem, was später kommt, zwar etwas einschränkend, aber er schafft es auf unglaubliche Weise ein Gefühl für V´s Kampf zu schaffen, während die Hauptstory die Handlung weiter intensiviert.
Sobald ihr das Intro hinter euch gelassen habt, könnt ihr in Night City hingehen, wohin ihr wollt! Zwar gibt es Viertel die ihr zu Beginn noch meiden solltet, denn dort lauern härtere Gegner als in anderen, aber im Allgemeinen wird euch niemand sofort erschießen, es sei denn, ihr sucht nach Ärger. Ihr werdet aber bereits in den ersten Stunden genügend Nebenquests erhalten, die euch für sehr lange Zeit beschäftigen werden, so dass ihr getrost die gefährlichen Gebiete meiden könnt.
GLEICHES GENRE, ANDERE STRUKTUR
Während die meisten RPG dem Schema F folgen, geht Cyberpunk 2077 erfrischend neue Wege. Denn anderes wie in „The Witcher 3“, muss man in Cyberpunk 2077 nicht großartig die Hauptstory vorantreiben, um an die begehrten Sidequest heranzukommen, sondern im Spiel warten an jeder Ecke (bereits zu Beginn) dutzende Aufgaben, die um unsere Aufmerksamkeit wetteifern. Und da Cyberpunk 2077 in der Zukunft spielt, sind die meisten davon nur ein Telefongespräch entfernt! Das raubt Cyberpunk 2077 zwar ein wenig das vertraute Gefühl des skalierenden Wachstums, aber es gibt so viel zu sehen und zu tun, dass ich mich auf diesen neuen Stil des Entdeckens sehr schnell einlassen konnte.
Night City ist so dicht, vielfältig und unglaublich schön in Szene gesetzt, dass wir ständig über unerwartete Sehenswürdigkeiten stolpern. Wir werden durch Slums, schicke Unternehmen, staubige Wüsten, üppige Grünflächen und sogar durch extrem seltsame Orte geschickt, die ihr am besten selbst entdecken solltet. Das Ausmaß und der Umfang von Night City ist einfach atemberaubend, und was die Stadt zu bieten hat, ist ohne der abgedrehten Story alleine schon einen Besuch wert.
Night City ist der Ort, bei dem ihr definitiv nichts verpassen wollt. Es gibt zwar etliche Schnellreisepunkte, die ihr automatisch beim Betreten eines Gebiets freischaltet, aber diese habe ich aufgrund der zahlreich vorhandenen Aufgaben, welche immer wieder am Weg zum Ziel liegen, so gut wie nie verwendet – und das soll was heißen!
ICH HABE ES IN DER HAND
Obwohl Cyberpunk 2077 in der Ego-Perspektive gespielt wird, fühlt es sich dennoch durch und durch wie ein Vollblut-RPG an. Es ist ein Spiel voll tief greifender, grandios präsentierter Konversationen, das einem durch die häufigen unterschiedlichen Dialogoptionen stets vor die Wahl stellt – welche Persönlichkeit steckt in uns, wie möchte man die nächste Mission angehen, all das und noch viel mehr liegt in unserer Hand. Jede Entscheidung wirkt sich auf die Story und die der Charaktere um Sie herum aus. Echt klasse!
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Ich habe häufig Spielstände neu geladen, um zu sehen, wie sich bestimmte Situationen hätten entwickeln können, wenn ich eine andere Entscheidung getroffen hätte, und das Ergebnis hat mich jedes Mal beeindruckt. Zudem war ich fassungslos, als mehrere Entscheidungen, die ich während einer Mission nur wenige Stunden nach Beginn der Geschichte traf, den Ausgang einer anderen Mission, die mehr als 25 Stunden später stattfand, massiv beeinflusste. Die Tiefe und Abwechslung, die in den meisten Missionen vorhanden ist, war für mich teilweise wirklich schwer zu begreifen. Man muss sich klar vor Augen führen, dass manche Nebenmissionen wichtig für die Story sind und auch dementsprechend behandelt werden sollten. Man kann zwar auch durch die Hauptstory durchrushen und somit das Spiel innerhalb 30 Stunden durchspielen, das wäre jedoch nicht nur schade, sondern verfehlt auch komplett den Aufbau von Cyberpunk 2077.
Zusätzlich muss man sich vor Augen halten, dass es in Cyberpunk 2077 fünf verschiedene Enden gibt. Drei davon sind durch eine “normale” Spielweise zu erreichen und die restlichen zwei sind sogenannte “Secret Endings”. So viel wollen wir euch verraten, eines der Secret Endings bildet unter anderem das Highlight von Cyberpunk 2077. Wie man das erreicht? Ganz einfach, die Entwickler selbst haben dazu ein Statement abgegeben: Freundet euch mit Johnny an, seid aber nicht zu zart zu ihm. Wenn man alles richtig macht und Johnny geholfen hat, mit seiner trostlosen Vergangenheit abzuschließen (Stichwort Sidequests), sollte man nicht zu voreilig am Ende eine Entscheidung treffen, sondern viel mehr die Stille der Nacht genießen und abwarten – eventuell hat unser Rocker-Draufgänger dann noch eine Alternative im Ärmel, wie man das geniale Finale einleitet.
Allerdings hat die Missions-Struktur auch einen gravierenden Schönheitsfehler! Das Missionsprotokoll selbst ist nämlich schon nach kurzer Zeit eine chaotische Liste ohne klare Hinweise darauf, was man für die verschiedenen Aufgaben als Belohnung bekommt oder welche optionalen Jobs für V und Johnnys Geschichte nun wirklich relevant sind. Des Weiteren wäre es wünschenswert gewesen, dass man den Auftraggeber in den Missionsprotokollen nennt, so behält man immer den Überblick, welch Nebenstoryline man gerade verfolgt. Es ist zwar in Hauptstory, Nebenmissionen sowie Aufträge unterteilt, aber übersichtlich nenne ich definitiv etwas anderes. Vielleicht bleibt es aber letztendlich Geschmackssache?!
Mehr möchte ich an dieser Stelle gar nicht verraten, denn die Story mit den verbundenen Nebenmissionen ist eine der größten Stärken von Cyberpunk 2077.
DAS RPG DER ZUKUNFT
Neben dem erstklassigen Story-Design gibt es auch einige gute altmodische RPG-Elemente, die uns unseren Spielstil bestimmen lassen. Es gibt kein traditionelles Klassensystem; stattdessen investieren wir die durch einen Levelaufstieg erhaltenen Punkte in die fünf verschiedenen Hauptattribute und zusätzlich in Perks, welche innerhalb jedes der einzelnen Hauptattribute für speziellere Verbesserungen sorgen. Wenn ihr zum Beispiel vorhabt, euch durch die gefährliche Situationen im Nahkampf zu prügeln, kann euch hierbei das Attribut „Stärke“ unterstützen, denn dieses bestimmt eure physische Kraft, eure Lebensenergie, Ausdauer und den Schaden mit schweren Geschützen sowie den Nahkampf. Innerhalb dieses Attributs warten eine Reihe zusätzlicher Perks, die ihr sukzessive freischalten könnt, wie zum Beispiel die Gesundheitsregeneration im Kampf oder die Erhöhung der kritischen Trefferchance. Auch hier lässt euch Cyberpunk 2077 eine enorme Freiheit und schränkt euch weder mit irgendwelchen aufgezwungenen Kombinationen oder geeigneten Waffen ein.
Das Grandiose an diesem System ist, dass sich unsere Auswahl niemals falsch anfühlt, denn die Perks unterstützen im Allgemeinen nur unseren Spielstil und wirken niemals wie eine Bestrafung, wie wir es unter anderem von World of Warcraft und Co. kennen. Dennoch gibt es Einschränkungen! Hat man zum Beispiel nicht genügend Punkte für das Attribut „Stärke“, kann es schwieriger sein, bestimmte Waffen zu benutzen oder einige Türen aufzubrechen. Doch das ist nicht schlimm, ganz im Gegenteil, denn genau dieser Aspekt motiviert unglaublich, um sämtliche Nebenaufgaben abzuarbeiten! Zusätzlich ist dieses System wunderbar flexibel und belohnend, da sich gewisse Perks automatisch durch unseren Spielstil verbessern.
TREFFER
Das Kampfsystem selbst ist ein weiterer Aspekt, bei dem ihr mehr herausbekommt, je mehr ihr hineinsteckt. Wie bereits erwähnt ist Cyberpunk 2077 ein RPG und kein Ego-Shooter, obwohl es im ersten Moment definitiv so wirkt. Während ich anfangs vom Waffensystem nicht ganz überzeugt war (Feinde waren zu stark und der Schaden fiel auf die Distanz gravierend ab) wurde es im Verlauf immer besser, je tiefer ich mich mit der Materie auseinandergesetzt habe.
Mit Perks kann man diese Probleme auf statistische Weise verbessern, aber was den Kampf wirklich zum Glänzen brachte, waren einzigartige Waffen und clevere Cyberware (lässt man sich im Körper einpflanzen), welche die Dinge über das einfache Zielen und Schießen hinaushoben. Einige Waffen können sich aufladen und durch Wände schießen, andere verschießen Patronen die sich ihr Ziel selber suchen und verwendet man dann noch zum Beispiel die Fähigkeit die Zeit zu verlangsamen, beginnt die Sache wirklich interessant zu werden und vor allem tierischen Spaß zu machen.
WAFFEN, LOOT UND CRAFTING
Was ich an Cyberpunk 2077 wirklich liebe, ist der Umgang mit den einzigartigen Waffen, welche man in der Regel durch Missionen erhält. Diese haben unterschiedliche Attribute, um sie von dem typischen Loot (davon gibt es mehr als genug) abzuheben. Das coole dabei ist, dass man dabei nicht nur den Gegenstand selbst erhält, sondern auch ein Handwerksrezept dazu, was uns diese Waffe mit anderen Attributen nachbauen lässt. Keine Frage! Es macht schon was her, wenn man mit einem Dildo bewaffnet feindliche Gangs niederknüppelt oder mit Pistolen bei jedem Nachladen den Schadenstyp ändert. Absolut schräg!
Neben dem motivierend Loot und Waffensystem trägt auch eine weitere Komponente zum gelungenen Spielablauf bei – Quickhacking! Das ist die Art und Weise, wie Cyberpunk 2077 das Hacken in seine Stealth- und Kampftechniken einbindet. Mit den Hacks könnt ihr die Zeit anhalten, Gegner durch Wände hindurch markieren oder sie sogar vorübergehend blind oder taub machen. Die gegnerische KI ist zwar hart im Kampf, aber ziemlich einfach per Quickhack zu manipulieren, aber die Verwendung der Hacks war trotzdem immer ein belohnendes Gefühl.
ATEMBERAUBENDE TECHNIK (PC) VS. BUGS
Wie ihr bereits in den oberen Zeilen mitbekommen habt, sieht Cyberpunk 2077 wirklich fantastisch aus! Night City ist mit den unzähligen animierten Werbetafeln, den grandiosen Reflektionen, den belebten Straßen, sowie den düsteren Gassen, nicht nur einer der gelungensten Schauplätze überhaupt, NEIN, es lädt auch auf ungewöhnlich motivierender Art und Weise zum Erkunden ein. Abgerundet wird das prachtvolle Gesamtpaket mit unglaublich detaillierten, sowie extrem schrägen Charakteren, einer überraschend vulgären, aber punktgenauen Synchronisation, einem erstklassigen Soundtrack, knackigen Soundeffekten und einer visuellen Präsentation, welche bereits “teilweise” in der Zukunft angelangt ist. Man kommt aus dem Staunen sprichwörtlich nicht mehr heraus und schnell verliert man sich in einer abgedrehten Spielwelt, die einen so schnell nicht mehr loslässt!
Und jetzt kommt das große ABER! Leider müssen die zahlreichen Bugs an dieser Stelle wirklich erwähnt werden. Cyberpunk 2077 kämpft routinemäßig mit verpatzten Animationen, schwebenden Objekten und fehlenden Modellen, die mich nicht nur störten, sondern die extrem dicht aufgebaute Immersion regelmäßig zunichte machten. Des Weiteren stehen die Performance-Einbußen (ca. 30%) mit aktivierten Raytracing in keiner Relation mit dem gebotenem visuellen Upgrade. Aus diesem Grund habe ich es auch über den gesamten Test deaktiviert.
Dabei handelt es sich hierbei um Kritik auf höchstem Niveau, denn die PC Version ist bei Cyberpunk 2077 das Maß aller Dinge! Anders sieht es bei den Playstation und Xbox Versionen aus. Hier sieht das Spiel nicht nur richtig schlecht aus, sondern die gravierend Bugs machen es nahezu unspielbar! Mittlerweile hat sich auch CD Project Red zu den Konsolenversionen geäußert und bietet sogar eine Rückgabemöglichkeit an. Obwohl diese Option absolut legitim ist, würde ich den Entwicklern dennoch etwas Zeit geben, das Spiel mit Patches zu verbessern, denn Cyberpunk 2077 bietet abseits der visuellen Präsentation und den Bugs, so viel, worauf sich die Wartezeit lohnt. Und wenn wir uns ganz ehrlich sind, kann man als Spieler nicht laut schreien “veröffentlicht endlich das Spiel” und wenn der Entwickler dann zuhört, und das Geforderte auch liefert, im Vergleich zu so vielen anderen Studios die einen f*** auf unsere Meinung geben, dann eine Rückerstattung verlangen.
Also doch kaufen?! Die Wertungen schwanken ja extrem von Magazin zu Magazin… ich kenn mich nicht mehr aus 🙂 Hört sich auf jeden Fall großartig an.
Es ist großartig! Aber nur auf dem PC… also PC KAUFEN – Konsolen noch WARTEN!
Danke für die Info! Werde es mir überlegen