Vor über 60 Jahren lockte eine brandneue Erfindung scharenweise Menschen in ein New Yorker Labor. Ein ehemaliger Waffenexperte baute aus analogen Computern und einem Oszilloskop eine rudimentäre Tennis-Simulation mit dem Titel „Tennis for Two“. Die Faszination Videospiel wurde geboren und zieht bis heute Millionen begeisterter Spieler wie magisch in den Bann. Doch noch immer haben virtuelle Welten einen umstrittenen Ruf.
Die Debatte, ob man Videospiele Kunst nennen darf, dauert nun schon mehrere Jahrzehnte an. Immer wieder gibt es Argumente für oder gegen diese Ansicht und immer wieder wird klar: So kann man es nicht stehen lassen. Darf man aber so weit gehen, diese virtuellen Welten mit den großen Meistern wie Picasso oder Rembrandt zu vergleichen? Warum ist es überhaupt wichtig, sich mit der Frage auseinander zu setzen?
Deutschland und die USK
In Deutschland hat die Debatte besondere Relevanz, denn hier zählen Videospiele rechtlich nicht zur Kunst. Dies hat zur Folge, dass sie sehr scharfen Richtlinien zum Jugend- und Verfassungsschutz unterworfen sind. Mit der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) betreibt Deutschland eine halbstaatliche Zensur-Agentur, die alle Spiele prüft, bevor sie auf den deutschen Markt dürfen. Zwar werden alle Spiele bereits vorher von der europaweit agierenden PEGI geprüft und in Altersklassen eingeteilt, doch das reicht in Deutschland nicht. Wenn ein neues Spiel etwa zu brutal durch grafische Gewaltszenen oder sogar verfassungsfeindlich durch die Darstellung eines Hakenkreuzes ist, müssen die Entwickler zensieren, damit sie in Deutschland verkaufen dürfen. Dies stößt einerseits bei den Spielern auf Protest, die für gleiches Geld weniger bekommen, andererseits aber auch bei der Industrie, die für den deutschen Markt Extrakosten zu tragen hat.
Wieso darf nun in einem Film ein Hakenkreuz gezeigt werden, in einem Spiel aber nicht? Weil ein Film Gegenstand der Kunst ist. Laut Artikel 5 des Grundgesetzes hat jeder das Recht, seine Meinung frei zu äußern. Im Satz 3 außerdem: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“. Die gleiche Ausnahme macht das Strafgesetzbuch in Paragraph 86a, Absatz 3 – Die sogenannte Sozialadäquanzklausel. Außer für Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre ist das Abbilden von verfassungswidrigen Inhalten strafbar.
NS-Symbolik? Jein.
2018 erfuhr die USK erstmals eine kleine Revolution. Im August gab sie bekannt, bei Videospielen nun auch die Sozialadäquanzklausel zu prüfen, wie es auch bei der FSK seit langer Zeit der Standard beim Prüfen von Filmen ist. Dies spricht für eine Klassifizierung von Spielen als Kunst, jedoch ist abzuwarten, ob diese Klausel nur für „Serious Games“ angewandt wird, wie im tschechischen Spiel Attentat 1942. Dies ist eine Art interaktiver Comic, in dem Geschichten aus der besetzten Tschechoslowakei erzählt werden. Der Taktik-Shooter Post Scriptum: The Bloody Seventh hingegen erhielt keine Freigabe seitens der USK, vermutlich weil es hier möglich ist, selbst als deutscher Soldat zu spielen.
Österreich als Zuflucht
Vor dem Boom digitaler Distributionsplattformen wie Steam, Origin und dergleichen war Österreich für viele deutsche Gamer ein Zufluchtsort, um ungeschnittene Spiele in deutscher Sprache zu erhalten. In Österreich gilt die PEGI-Kennzeichnung und es wird weiterhin keine eigene Zensur-Agentur betrieben. Die österreichische Regierung geht sogar einen Schritt weiter und führt eine Liste mit empfehlenswerten Spielen, auf der nicht nur Edutainment-Titel stehen. Zwar genießen Videospiele in Österreich keine Legaldefinition als Kunst, jedoch liefert die fehlende Zensur ein Indiz dafür, dass sie es sein könnten.
Kunst oder Kitsch?
Roger Ebert, renommierter Filmkritiker bei der Chicago Sun-Times, nahm 2005 ganz klar Stellung. Auf seiner Website argumentierte er, Spiele definieren sich durch Ziele, Regeln und Interaktion. Diese festen Grundstrukturen gäbe es in der Kunst nicht. Deshalb seien Spiele keine Kunst und würden es nie werden können.
An Eberts Artikel übten zahlreiche Experten Kritik, hauptsächlich auch deshalb, weil er zugab, nie ein Spiel selbst gespielt zu haben. Eine halbe Dekade später entschärft er seine eigene Hypothese in einem Folgeartikel und räumte ein, dass Spiele in der Zukunft zu einer Form der Kunst mutieren könnten. Spieler von heute würden diese Entwicklung jedoch auf keinen Fall noch erleben. Für seine erweiterte Argumentation zitiert er den Philosophen Platon, laut dem sich die Kunst definiere als Imitation der Natur. Ein Künstler will also existierende Ideen in irgendeiner Form nachahmen und Emotionen beim Betrachter erwecken. Videospiele seien nur dazu ausgelegt, möglichst viel Geld einzubringen. Um dies zu ermöglichen, werde auf künstlerische Freiheit verzichtet. Stattdessen seien es feste Bausteine, durch die ein Spiel sich definiere.
Brian Moriarty, Professor für Interaktive Medien und Videospielentwicklung am Worchester Polytechnic Institute in Massachusetts, bekennt sich zu Ebert. Seiner Argumentation zu Grunde liegt Schopenhauers Definition der Kunst, laut der die Kunst den Willen transzendiert. Das heißt, dass ein Künstler nicht an das gebunden ist, was er im Moment des Schaffens selber schaffen will. Ein Spielentwickler will aber laut Moriarty genau das, was er entwickelt. Dies sei deshalb so, weil jeder Entwickler aus rein ökonomischem Interesse handle.
Wer fühlt, erlebt Kunst
Kritik an Eberts Ansichten äußerte u. A. Ben Croshaw, Redakteur bei The Escapist und Macher des beliebten Rezensionsformates Zero Punctuation. Interessant an seiner Antwort ist, dass er nicht behauptet, Ebert habe Unrecht. Vielmehr stoße sich die Debatte an der eigentlichen Definition von Kunst. Es gäbe einfach zu viele davon und je nachdem, ob man für oder gegen Spiele als Kunst sei, könne man sich eine passende Definition aussuchen. Ein entscheidender Faktor bei der Kunst sei, dass sie subjektiv ist. Ob also ein Bild, ein Buch oder eben ein Spiel als Kunst verstanden wird, hänge vom Betrachter ab. Croshaws eigene Definition, gemäß Auffassung der Romantik: „Kunst ist jedes geschaffene Werk, welches bei dir persönlich starke Gefühle auslöst.“
Eberts Aussage, dass es sich bei Spielen nur um etwas handle, das man zu gewinnen versucht, sei heute außerdem schon veraltet. Es ginge heute vielmehr darum, was zwischen Start und Ende passiert und welche Emotionen den Spieler auf diesem Weg begleiten. Ein passendes Beispiel hierfür ist etwa das enigmatische Spiel Journey, bei dem sich Spieler ohne Anweisung auf eine Reise begeben und während dieser Emotionen spüren und laut dem Designer Jenova Chen sei genau das der Sinn an diesem Spiel.
Die Frage, ob man Videospiele egal welcher Form nun als Kunst verstehen könne, bleibt umstritten. Zumindest in den USA zählen sie seit 2011 rechtlich schon zur Kunst, denn sie erhalten künstlerische Förderung vom Staat. Auch das New Yorker Museum of Modern Arts setzte 2012 ein klares Zeichen, als es 14 Videospiele, unter anderen Pac-Man (1980), Tetris (1984) oder Die Sims (2000) in die Ausstellung der digitalen Kunst aufnahm. Diese Auswahl soll auf 40 erweitert werden. Vielleicht ist gerade die Tatsache, dass sich so viele Parteien an der Debatte beteiligen ein Indiz dafür, dass Videospiele mehr sind als Kurzweile für Geld.
von Nico Jakobs
Her mit den Hakenkreuzen!! Das Zensieren zerstört jedes Spiel. Seht euch mal Adolf in Wolfenstein an…. 🙁
Oh ja,… die Zensur braucht wirklich keiner. Der Mensch sollte mal zu seiner Vergangenheit stehen! Wir Menschen ändern uns sowieso nie… also was solls?
Das Zensieren geht mir echt auf den S…. In der heutigen Zeit wird man nur noch kontrolliert und bevormundet. Wo soll das noch hinführen?