Wie kann man Resident Evil 4 neu auflegen, ein Spiel das die Art und Weise, wie Actionspiele heute gemacht werden, verändert hat? Das ist im besten Fall eine starke Herausforderung und im schlimmsten Fall eine unmögliche Aufgabe. Anstatt also zu versuchen, das Rad ein zweites Mal neu zu erfinden, hat sich Capcom auf die Stärken des Originals gestützt, es weiter ausgearbeitet und das Spielerlebnis fein abgestimmt. Das Ergebnis ist ein atemberaubendes Remake, das langjährige Fans an seine Brillanz erinnert und gleichzeitig eine ganz neue Generation in einen modernen Klassiker und eines der wichtigsten Spiele aller Zeiten einführt.
DIE RETTUNGSMISSION
Obwohl das fast unmöglich ist, aber solltet ihr mit dem Spiel noch nicht vertraut sein, ist die Prämisse von Resident Evil 4 ganz einfach: Leon S. Kennedy, der coole und gut aussehende Polizist, der sich zum Regierungsagenten entwickelt hat und den ihr vielleicht noch von seinen Eskapaden in Raccoon City aus Resident Evil 2 kennt, wurde ins ländliche Spanien geschickt, um Ashley Graham, die vermisste Tochter des US-Präsidenten, aufzuspüren. Ja, die Story ist bekannt, aber auch 18 Jahre später ist die Gegenüberstellung mit dem Survival-Horror-Genre ein perfekter Rahmen für die überdrehten Szenen des Spiels.
Ashley Graham befindet sich in einem Schloss, das von parasitären Infektionen und bewusstseinsgesteuerten Kultisten belagert wird, so dass ihr euch einen Weg von einem heruntergekommenen Dorf zu einer Militärinsel bahnen müsst, um sie zurückzuholen. Während die Grundpfeiler der spannenden, hautnahen Action und des umsichtigen Ressourcenmanagements unverändert bleiben, wird die Geschichte insgesamt durch Verbesserungen bei der Charakterentwicklung aufgewertet. Jetzt ist sich Capcom mehr denn je des Tons und des Humors des Spiels bewusst, nachdem es sich im Original eher zufällig anfühlte. Dieses Mal hat man das Gefühl, dass Capcom sich darauf einlässt und eine wohlüberlegte Balance zwischen herzzerreißendem Horror und lautem Gelächter findet. Klasse!
EIN STARKER CHARAKTER
Diesmal ist Leon nicht nur ein gut aussehender Typ mit wallendem Haar und einer lässigen Jacke, er ist mehr als das: Jetzt ist er ein cooler Typ der coole Sachen macht und sich auch wie ein Mensch verhält. Dieser Leon trägt das Trauma des Vorfalls in Raccoon City aus dem Remake von Resident Evil 2 mit sich herum, was seinem Charakter mehr Gewicht verleiht und als überzeugender Kontext für seine Motivation, Ashley Graham zu retten, dient. Es ist nicht nur ein weiterer Auftrag für Leon – es ist eine Chance auf Wiedergutmachung für die Leben, die er in Raccoon City nicht retten konnte. Diese erzählerische Kontinuität ist ein starker Faden, der die Remakes emotional miteinander verbindet und dafür sorgt, dass sich diese neue Ära des Franchise stärker und einheitlicher anfühlt als die Originale.
Diejenigen, die befürchten, dass diese zusätzliche Ebene der Menschlichkeit Leons ikonisches Actionhelden-Dasein verändert hat, sollten sich keine Sorgen machen, denn Leon ist immer noch ein absoluter Knallkopf. Dieser Aspekt seines Charakters wurde sogar noch verstärkt. In den chaotischen, blutigen Schlachten, in denen er sich mit Massen von parasiteninfizierten Ganados herumschlägt, nimmt sich Leon immer noch die Zeit, denkwürdige Sprüche zu reißen. Und das nicht nur, um zu scherzen, denn diese Momente werden genutzt, um die nervenaufreibende Spannung des Kampfes gegen die Dorfbewohner aufzulockern, indem sie mit der dringend benötigten Heiterkeit durchbrochen werden.
Jede Begegnung knapp zu überleben fühlt sich wie eine Erleichterung an, aber wenn Leon nach dem Abschießen einer Laterne, die in Flammen aufgeht, einen beiläufigen Spruch einwirft: „Die Reparaturen werden mir später in Rechnung gestellt“, fühlt sich das fast wie ein triumphaler Sieg an. Die Welt von Resident Evil 4 ist schmutzig, dreckig und grausam, aber es ist auch eine, in der ein Regierungsagent, der die Tochter des Präsidenten retten will, zu sich selbst sagt: „Nicht schlecht, oder?“, nachdem er einen Ganado so hart mit dem Suplex verprügelt hat, dass sein Kopf wie ein Wasserballon zerplatzt. Capcom hat es geschafft, mich in einem verzweifelten Überlebenskampf an den Rand des Nervenkitzels zu bringen, nur um mich dann mit einem witzigen Spruch zu überraschen und zum Lachen zu bringen. Die Fähigkeit, dies immer wieder zu tun, ohne die allgemeine Stimmung des Spiels zu stören, ist einer der krönenden Erfolge von Resident Evil 4 Remake.
SPANNUNG PUR!
Die Konfrontation mit den Ganados ist stressiger und furchterregender als je zuvor. Ihre frenetischen Bewegungen, unerwarteten Ausweichmanöver und bösartigen Angriffe wurden intensiviert, so dass jede Begegnung zu einem panischen Walzer wird, bei dem es darum geht, die Menge zu managen, während man um Luft zum Atmen kämpft und hofft, dass man genug Munition und Gesundheit hat, um das Scharmützel zu überstehen. Man ist oft auf allen Seiten in der Unterzahl, während sie euch aus dem Weg gehen und sich ducken, um euch zu packen, und euch zu den Heugabeln, Sicheln und Messern der anderen Mitglieder der Horde drängen.
Während die Ganados im Originalspiel ähnlich trickreich waren, fühlen sich ihre Bewegungen diesmal greifbarer und gewichtiger an, was auch die potenziellen Konsequenzen, in eine Ecke gedrängt oder überwältigt zu werden, noch erschreckender macht. Zu sehen, wie Dr. Salvador, der Kettensägen-schwingende, Kartoffelsäcke tragende Irre, durch die Menge stapft und versucht, Leon in Stücke zu reißen, lässt eine Angst wieder aufleben, die durch das wiederholte Durchspielen von Resident Evil 4 längst abgestumpft war.
Diese Szenarien sind absolut herzzerreißend und trotz der haarsträubenden Spannung konnte ich nicht genug davon bekommen, weil sich die Kämpfe einfach so verdammt gut anfühlen. Ob man mit einer Schrotflinte eine Wand von Feinden in die Luft jagt, einen Ganado Angriff schnell pariert oder einen ausladenden Roundhouse-Kick ausführt, der eine Menschenmenge zurückdrängt – die Action im Remake von Resident Evil 4 hat eine kinetische Brutalität, die sich anfühlt, als würde man das Chaos auf höchst befriedigende Weise kontrollieren.
Jede Kampfbegegnung erfordert ständige Anpassung und manchmal erfordert die Situation, dass man mutig in eine Menge von Gegnern hineinläuft, um einem niedergestreckten Kultisten ein Messer in den Leib zu rammen, bevor er als viel tödlichere und unberechenbarere Kreatur wieder aufsteht. In anderen Fällen ist ein wenig Kreativität gefragt, zB. wenn man eine gut platzierte Fernmine neben einer Gruppe von Feinden platziert, bevor man zur Schrotflinte wechselt, um den Holzschild eines Gegners auszuschalten, und dann zusieht, wie alle in die Luft fliegen. In jedem Fall haben die Kämpfe etwas von einer Spielwiese, auf der man die Bewegungen des Gegners zu seinem Vorteil manipulieren kann, z. B. indem man einen Feind in seine eigene Bärenfalle lockt oder einen Molotowcocktail auf jemanden zurückwirft, der eine Menschenmenge in Flammen aufgehen lässt. Das alles fühlt sich schlagkräftig, viszeral und knallhart an. Das war schon beim Original der Fall, wird aber in der Neuauflage dank einer größeren Vielfalt an Feinden – von denen einige völlig neu sind – noch verstärkt, während andere, die bereits bekannt sind, auf erschreckende Weise neu gestaltet wurden.
DEUTLICH MEHR VIELSEITIGKEIT
Leon hat deutlich mehr Vielseitigkeit erhalten, um es mit den fähigeren und tödlicheren Ganados aufzunehmen. Er ist zwar in der Hitze des Gefechts viel einfacher zu kontrollieren, aber jetzt hat er auch die Möglichkeit, Stealth und seine zuverlässigen Messerkampf-Fähigkeiten zu nutzen. Die Messer werden jetzt bei jedem Einsatz leicht beschädigt (eine Übernahme aus dem Resident Evil 2 Remake), und man kann jetzt fast jeden Angriff parieren, indem man eine Taste drückt, wenn der Gegner zuschlägt. Diese Neuerungen erhöhen den Tango der Gewalt, wenn man es mit einer Menge von Gegnern zu tun hat, indem sie ein Gefühl von Schwung erzeugen. Jeder Kampf kann schnell zu einem Tanz werden, bei dem es darum geht, Waffen zu manövrieren, Ressourcen zu verwalten und Paraden auszuführen. Und die Möglichkeit, zwischen diesen Aktionen in schneller Folge hin und her zu wechseln, gibt euch das Gefühl, dass ihr genauso hart ums Überleben kämpft, wie die zahlreichen Ganados um euch herum.
Wenn euer treues Messer kaputt geht, müsst ihr euch auf die Suche nach einem minderwertigen Ersatz machen, bis ihr euer Lieblings-Messer reparieren könnt. Und selbst dann müsst ihr den Platz haben, um es in eurem Aktenkoffer verstauen zu können. Natürlich ist das Ressourcenmanagement wieder eine wichtige Säule der Neuauflage von Resident Evil 4, ebenso wie das teuflisch fesselnde Metaspiel, bei dem es darum geht, den Inhalt des Koffers so zu organisieren, dass Kräuter, Schießpulver, Waffen und Handwerksmaterialien wie Tetris-Steine zusammenpassen.
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INTELLIGENTE ÄNDERUNGEN
Das Remake von Resident Evil 4 ist voll von intelligenten Änderungen der Lebensqualität, die auf dem aufbauen, was das Original revolutioniert hat. Das beste Beispiel dafür ist die Änderung der Kampffähigkeiten von Ashley Graham. Zum Glück hat Ashley keinen Gesundheitsbalken mehr, den man mit seinen eigenen Ressourcen verwalten muss. Stattdessen wird Ashley, wenn sie verletzt ist, bewegungsunfähig und zwingt euch, Feinde zu umgehen, um zu ihr zu gelangen und sie wieder auf die Beine zu bringen. Das ist für den Spieler weit weniger belastend als ein völliges Versagen, erhält aber die Spannung der kooperativen Dynamik aufrecht, da man gezwungen ist, plötzlich die Prioritäten zu verschieben, um sie zu retten. Während es im Originalspiel sehr einfach war (manchmal sogar komisch), diesen Aspekt des Gameplays zu trivialisieren, indem man Ashley befahl, sich in Mülltonnen zu verstecken, während man sich mit Massen von Gegnern herumschlug, gibt es dieses Mal nur wenige Verstecke. Das ist eine willkommene Neuerung, denn dadurch wird der Schutz von Ashley viel stärker in den Kampf integriert und gleichzeitig wird das Gefühl vermieden, dass sie nur ein Objekt ist, das man beschützen muss, was im Original oft als entmenschlichend empfunden wurde.
Wie Leon ist auch Ashley Graham viel ausgeprägter und glaubwürdiger. Sie hat sich die Sensibilität einer 20-Jährigen bewahrt und reagiert auch so: Sie schreit vor Entsetzen beim Anblick eines Parasiten, der aus dem Kopf eines Sektenmitglieds ausbricht, aber es wird nie übertrieben. Die Entwickler haben eine gute Balance gefunden, die es Leon und Ashley erlaubt, von Zeit zu Zeit miteinander zu kommunizieren. Nach Kämpfen sehen sie sich gegenseitig an, um zu fragen, ob es ihnen gut geht. Ashley wird Leon mit einem „Wow, das war ein guter Schuss“ beglückwünschen, nachdem er einem Kultisten mit einem Scharfschützengewehr den Kopf abgerissen hat. Es gibt kleine zusätzliche Gespräche, die es ermöglichen, die Freundschaft zwischen den beiden zu entwickeln, aber sie lenken nie vom Kern des Spiels ab oder untergraben die Spannung des Spiels.
Generell sind die Charaktere nicht mehr so einseitig, wie sie es im Original waren. Luis Serra zum Beispiel erhält etwas mehr Zeit auf dem Bildschirm, wodurch seine Rolle in der übergreifenden Handlung besser zur Geltung kommt. Und keine Sorge: Wie bei Leon bleiben sein Charme und seine „Hey, ich muss rauchen“-Witze intakt. Er ist immer noch ein lederjackentragender Ladykiller, der Sprüche klopft und Pistolen schwingt, als wäre er ein Cowboy aus einem Spaghetti-Western. Sogar Krauser, der archetypische Antagonist des 80er-Jahre-Actionfilms, der direkt aus Filmen wie Commando zu kommen schien, fühlt sich dank eines weiteren Kontextes rund um seinen Einsatz und seine Präsenz in der Erzählung runder an.
Einigen Charakteren wurde jedoch mehr Geschmack als Tiefe verliehen – vor allem dem Händler. Seine ikonische Stimme hat sich geändert, aber dies ist eine neue Version des Händlers, der für sich selbst ikonisch ist und zu den denkwürdigsten Charakteren der Serie gehört, obwohl er nur ein laufender und sprechender Pfandleiher ist.
GELUNGENE NEBENAUFGABEN
Wenn ihr euch nicht gerade mit dem „Gestank der Schlacht“ eindeckt, wie der Händler zu sagen pflegt, habt ihr die Möglichkeit, abseits der ausgetretenen Pfade nach Schätzen zu suchen und Aufträge zu erfüllen, die der Händler in der Umgebung platziert hat. Bei einigen handelt es sich um Schnitzeljagden, wie z. B. die Suche nach einem goldenen Hühnerei, während andere die Jagd auf stärkere und widerspenstigere Feinde erfordern. Als Gegenleistung für die Erfüllung dieser Aufträge erhält man Spinell-Edelsteine, die man gegen Schatzkarten, spezielle Gegenstandsverbesserungen und weitere Ressourcen eintauschen kann.
Die Aufträge bieten einen zusätzlichen Anreiz, die Welt zu erkunden, unterbrechen aber nie den Fluss und das Tempo des Spiels, da sie euch oft auf bekannte Pfade zurückführen und neu gewonnene Gegenstände wie Spezialschlüssel zum Aufschließen von Schränken und Geräten mit Schätzen bringen. Diese Nebenmissionen fühlen sich nicht wie zu erledigende Aufgaben oder Checklisten an, da die Anforderungen auf natürliche Weise mit der Geschichte des Spiels einhergehen.
BOMBASTISCHE ACTION
Auch wenn Leons Mission ihn in den letzten Kapiteln des Spiels in einige visuell weniger interessante Gebiete führt (ein Überbleibsel aus dem ursprünglichen Resident Evil 4), schafft es das Remake dennoch, eine bemerkenswerte Balance aus bombastischer Action und spannenden Kampfszenarien zu halten. Wo das ursprüngliche Spiel anfing, seinen Schwung zu verlieren, schafft es das Remake, die Erfahrung aufrechtzuerhalten, indem es das, was man aus dem Original so gut kennt, erheblich verändert. Einige Abschnitte des Originalspiels wurden verfeinert, gestrafft und neu geordnet, um sich besser in den Spielfluss und auch in die Umgebung einzufügen. Die erste Begegnung mit dem blinden Garrador, der eine Riesenklinge schwingt, wurde zum Beispiel besser in den Kontext der quälenden Tiefen des Schlosses eingebettet. Das Ergebnis ist, dass die Szene noch beängstigender und anstrengender ist als zuvor.
Es gibt auch wiederkehrende Bosskämpfe, von denen einige leicht überarbeitet wurden, während andere eine willkommene, bedeutendere Überarbeitung erhalten haben. Bei fast allen von ihnen hatte ich ein Lächeln auf den Lippen, obwohl ich sie in der Vergangenheit schon dutzende Male gesehen habe. Ich habe applaudiert, als ich von neuen Elementen überrascht wurde, und hörbar gejubelt, als ich feststellte, dass einige von Leons kultigsten Sprüchen immer noch im Spiel sind. Andererseits wurden einige Abschnitte komplett gestrichen, aber es ist offensichtlich, dass dies mit Bedacht und Fingerspitzengefühl geschehen ist. Für alles, was aus dem Spiel herausgenommen wurde, wurde etwas Neues eingeführt, um es zu ersetzen. Capcom hat offensichtlich sehr genau darauf geachtet, wie sich diese Entscheidungen auf das meisterhafte Tempo und auf die delikate Balance zwischen Kampf, Erkundung und einigen zusätzlichen Rätseln von Resident Evil 4 auswirken