Lass uns ehrlich sein – das Mittelalter war weder glamourös noch einfach. Es war eine Zeit voller Blut, Schweiß und schwerer Entscheidungen. Genau das hat „Kingdom Come: Deliverance“ so einzigartig gemacht: Es bot eine ungeschönte, realistische Reise durch diese Ära, gepaart mit der charmanten Tollpatschigkeit von Henry, dem Helden wider Willen. Und jetzt, im Jahr 2025, steht der Nachfolger vor der Tür: „Kingdom Come: Deliverance 2“. Doch die große Frage lautet: Hat Warhorse Studios aus den Schwächen des Vorgängers gelernt, oder erwartet uns erneut ein mittelalterliches Abenteuer mit Ecken und Kanten? Nach ein paar Stunden mit dem Spiel wagen wir ein Urteil – und verraten vorweg: Es ist so mittelalterlich wie eh und je, aber mit einigen modernen Verbesserungen.
Ein Ritter wider Willen – Die Geschichte geht weiter
Das Spiel setzt nahtlos dort an, wo der Vorgänger endete: Henry, unser ehemaliger Schmiedelehrling und mittlerweile angehender Ritter, findet sich gemeinsam mit seinem Kumpanen Sir Hans Capon in einer neuen Region wieder. Doch wie das Schicksal so will, dauert es nicht lange, bis die vermeintliche Ruhe von Intrigen, Konflikten und – ja, ihr habt es geahnt – einem Raubzug durchbrochen wird.
Die Geschichte beginnt explosiv: Ein Belagerungsszenario sorgt für einen Adrenalinschub, bevor die Handlung mehrere Wochen in die Vergangenheit springt, um zu zeigen, wie es dazu kam. Dieses narrative Element erzeugt nicht nur Spannung, sondern gibt auch einen Ausblick auf die Dramatik, die uns später erwartet.
Natürlich werden eure mühsam erarbeiteten Fähigkeiten und eure glänzende Ausrüstung aus dem ersten Teil in typischer Rollenspiel-Manier „plausibel“ entfernt. Schließlich müssen wir uns ja wieder hocharbeiten. Doch Henry ist kein Grünschnabel mehr, und das spürt man im Gameplay.
Polierter Stahl: Das überarbeitete Kampfsystem
Das Kampfsystem von Kingdom Come: Deliverance war ein zweischneidiges Schwert – innovativ, aber für viele auch frustrierend. Im zweiten Teil wurde daran gefeilt, ohne den Kern des Systems aufzugeben. Statt fünf gibt es nun vier Angriffsrichtungen, was die Kämpfe zugänglicher macht, ohne an Tiefe zu verlieren.
Die Duelle fühlen sich dadurch weniger sperrig und dynamischer an, was sowohl Veteranen als auch Neulingen entgegenkommen dürfte. Die Balance zwischen Timing, Positionierung und klugem Einsatz von Combos bleibt erhalten, während die Steuerung intuitiver ist. Es macht Spaß, sich in einer Schwertschlacht zu messen, und die neuen Animationen verleihen den Kämpfen zusätzliche Wucht.
Die moralischen Grauzonen – Ein überarbeitetes Kriminalitätssystem
Wer im Mittelalter leben will, sollte wissen: Die Justiz schläft nicht. Das Kriminalitätssystem wurde deutlich ausgefeilter gestaltet. So reicht es jetzt nicht mehr, ein Verbrechen zu begehen und dann einfach abzuhauen. NPCs reagieren schlauer und merken sich verdächtiges Verhalten.
Ein Beispiel: Ihr klaut eine Laute aus dem Haus eines Handwerkers. Einige Stunden später taucht ein Hinweis auf, dass der Besitzer euch gemeldet hat – weil ihr zur Tatzeit in der Nähe wart. Wer also den Rebellen spielen will, muss klug vorgehen. Andernfalls drohen Geldstrafen, Gefängnis – oder im schlimmsten Fall der Galgen.
Doch keine Sorge: Ihr könnt mit den Wachen verhandeln, Bußgeld zahlen oder sogar versuchen, euch aus der Situation herauszureden. Die Konsequenzen sind realistisch und machen das Spiel noch immersiver.
Ein Hund fürs Herz – Köter ist zurück
Eines der Highlights ist Henrys treuer Begleiter Köter, der bereits im DLC „A Woman’s Lot“ des ersten Teils eingeführt wurde. Der Hund ist mehr als nur ein dekoratives Element: Ihr könnt ihn trainieren, ihm Befehle geben und sogar von seinen Fähigkeiten profitieren.
Köter kann Gegner ablenken, Spuren verfolgen oder euch einfach durch seine Anwesenheit einen Charisma-Bonus verschaffen. Besonders praktisch: Beim Campen sorgt er dafür, dass ihr ausgeruht und gewärmt aufwacht. Kurz gesagt, Köter ist nicht nur ein treuer Begleiter, sondern auch ein funktionaler Vorteil im harten Mittelalter-Alltag.
Atemberaubende Kulissen – Böhmen in voller Pracht
Die Welt von Kingdom Come: Deliverance 2 ist eine Augenweide. Die Wälder, Felder und Dörfer wirken lebendiger und detaillierter als je zuvor. Die Beleuchtung verleiht der Landschaft eine beeindruckende Atmosphäre, sei es bei Sonnenaufgang oder während eines nächtlichen Sturms.
Auch die Städte sind vollgepackt mit kleinen Details, die das Eintauchen in die mittelalterliche Welt erleichtern. Händler, Bauern und Adlige gehen ihrem Alltag nach, während sich Gespräche über politische Intrigen und lokale Dramen entfalten.
Doch nicht nur die Grafik wurde aufpoliert. Auch die Performance ist bislang stabil. Keine Bugs, keine gravierenden Glitches – zumindest nicht in den ersten Stunden. Für ein Spiel dieser Größenordnung ist das fast ein Wunder.
Ein Geduldsspiel bleibt es
Doch so poliert das Spiel auch wirkt, eines bleibt unverändert: Es ist ein langsames, detailverliebtes Erlebnis. Wer nicht bereit ist, sich auf die realistische Darstellung des mittelalterlichen Lebens einzulassen, könnte schnell frustriert sein. Das Tempo ist nichts für jedermann, und der Fokus auf historische Authentizität bedeutet, dass es keine schnellen Erfolgserlebnisse gibt.
Fazit nach über 10 Stunden
Kingdom Come: Deliverance 2 ist ein würdiger Nachfolger, der viele der Schwächen des Originals ausbügelt und gleichzeitig die Stärken hervorhebt. Das überarbeitete Kampfsystem, die atemberaubende Welt und die spannende Geschichte machen es zu einem Highlight für Fans von authentischen Mittelalter-Rollenspielen.
Allerdings bleibt das Spiel ein Nischenprodukt, das vor allem diejenigen anspricht, die Geduld und eine Vorliebe für historische Genauigkeit mitbringen. Wer sich darauf einlässt, wird mit einem der immersivsten Rollenspiele belohnt, die das Genre zu bieten hat. Fans des ersten Teils werden sich sofort heimisch fühlen, während Neulinge eine polierte Einstiegsmöglichkeit in diese faszinierende Welt erhalten.
Ein Spiel wie eine gute Reise ins Mittelalter: Manchmal anstrengend, oft faszinierend, und am Ende unvergesslich.