Mit „Monster Hunter Wilds“ bringt Capcom den neuesten Ableger seiner gefeierten Action-RPG-Serie auf den Markt, der Jagdfans eine noch größere, dynamischere und lebendigere Welt verspricht. Doch große Versprechen kommen oft mit großen Erwartungen, und diese könnten nicht unterschiedlicher bei den Vets und den Neulingen der Serie auffallen. Überzeugt das neue Monster-Ökosystem in Wilds, oder hat der Fokus auf Zugänglichkeit dem Spiel die Zähne gezogen? Begleite uns auf die Spurensuche durch diese wagemutige, aber zahme Jagd.
Willkommen in den Verbotenen Landen: Eine Welt voller Leben und doch ohne Seele
Die Geschichte von Monster Hunter Wilds führt dich, wie gewohnt, als tapferen Jäger in eine neue, unbekannte Region – die Verbotenen Lande. Hier lauern Gefahren, Rätsel und eine faszinierende Ökologie, die von unaufhaltsamen saisonalen Veränderungen geprägt ist. Wälder gedeihen im Frühling, Wasserläufe trocknen im Sommer, und der Winter verwandelt Wiesen in gefährliche Eisflächen. Diese Naturveränderungen sind nicht nur dekorativ, sondern haben direkten Einfluss auf deinen Jagdalltag: Monster verhalten sich anders, Ressourcen erscheinen zu bestimmten Zeiten, und neue Routen erschließen sich dank Naturkatastrophen.

Die Inszenierung der Welt ist zweifellos ein Highlight. Doch wenn es um die Story geht, bleibt Monster Hunter seiner berühmt-berüchtigten Linie treu: Sie ist zweckmäßig und dient lediglich als Hintergrundrahmen für die eigentliche Jagd. Dieses Mal versucht Capcom jedoch, mehr Emotion ins Spiel zu bringen. NPC-Charaktere sprechen dich mit dramatischeren Dialogen an, und es werden sogar moralische Konflikte thematisiert. Klingt spannend, oder? Leider nicht ganz. Viele Gespräche sind überzeichnet und voller Anime-Klischees. Es ist schwierig, mit den Figuren oder ihrer Lage wirklich mitzufühlen – oft weil sie selbst in kritischsten Momenten übertrieben handeln oder reden. Veteranen werden den Dialog schnell wegklicken; Neulinge finden die dramatischen Szenen vielleicht spannend, werden sich aber auch wundern, warum sie von der eigentlichen Jagderfahrung ablenken.
Wer jedoch tiefer in die Details der Welt eintauchen möchte, wird belohnt. Für Fans der Monster Hunter-Lore gibt es spannende Entdeckungen über die Welt und ihre Geschichte, sei es durch die Geografie, ausgestorbene Kreaturen oder die Überreste eines alten Volkes. All das bleibt jedoch optional – und ehrlich gesagt ist es oft merklich zusätzlich eingebaut, anstatt organisch in die Spielwelt integriert.
Karten und Erforschung: Wunderschön, aber irgendwie anstrengend
Die neuen offenen Karten in Wilds sind riesig und atemberaubend gestaltet. Die Biome fühlen sich lebendig an, da sie dynamisch auf Jahreszeiten und Wetter reagieren. Capcom hat hier ganze Arbeit geleistet, die Jagdgebiete größer, moderner und immersiver zu gestalten. Doch mit dieser Größe kommen auch Herausforderungen: Die Echtzeit-Karte gibt dir ständige Benachrichtigungen über Änderungen und Events – sei es ein zerstörtes Camp, ein neues Monster-Signal oder ein Ressourcenvorkommen. Während dies auf den ersten Blick spannend klingt, erzeugt es schnell Stress. Du wirst überwältigt von einem Gefühl des „FOMO“ („Fear of Missing Out“) – denn ständig scheint irgendwo etwas zu passieren, und du fühlst dich gezwungen, nachzuschauen oder einzugreifen. Das mag Spieler motivieren, die jede Ecke erkunden möchten, doch für diejenigen, die einfach gezielt auf die nächste Jagd gehen wollen, wird es anstrengend.

Ein größeres Problem ist die Orientierung. Besonders in den ersten Spielstunden wirst du oft überlegen, wo der nächste Punkt von Interesse liegt oder welches Camp sich gerade am besten als Basis eignet. Während das verbesserte Transport-System, das sogenannte Seikret-Mount, für schnellere Fortbewegung sorgt, raubt es vollständig die Spannung des Jagdaufbaus. Es bringt dich direkt zu einem Ziel, ohne Umwege – weg ist das Gefühl, ein cleverer Jäger zu sein, der Spuren liest und die Umgebung zu seinem Vorteil nutzt. Dieses „automatisierte Jagen“ wirkt einer der Kernideen der Serie entgegen.
Gameplay: Monster Hunter im Komfort-Modus
Natürlich dreht sich bei Monster Hunter alles um das Gameplay, und Wilds macht hier vieles richtig – wenn auch nicht alles für jeden. Die Kämpfe gegen massive Monster sind nach wie vor ein Highlight der Serie. Egal, ob du ein Newcomer bist oder zum tausendsten Mal dein Langschwert schwingst, die Mechaniken fühlen sich geschmeidiger und flüssiger an als zuvor. Bewegungen wie Ausweichmanöver oder Angriffskombinationen sind präzise und geben ein unglaublich gutes Feedback. Doch trotz der technischen Raffinesse gibt es ein Problem: Wo bleibt die Herausforderung?
Schwierigkeitsgrad: Eine leichte Beute
Das zugängliche Design von Wilds führt dazu, dass selbst die heftigsten Kreaturen relativ harmlos erscheinen. In meiner gesamten Testzeit habe ich nur eine einzige Jagd verloren – selbst ohne spezielle Vorbereitung. Monster verzeihen Fehler großzügig, und es fehlt genau das, was die Serie so besonders gemacht hat: die Notwendigkeit, sich auf jede Begegnung vorzubereiten. Früher war es entscheidend, die Schwächen eines Monsters zu kennen, seine Bewegungen zu studieren und die passende Ausrüstung zu wählen. In Wilds kannst du auch mit einer improvisierten Waffe und schlechtem Schutz mitten in den Kampf gehen und dennoch problemlos gewinnen.
Die Kämpfe: Frisch dank neuer Wunden
Eine interessante Neuerung ist die Wundmechanik: Wenn du wiederholt auf die gleiche Stelle eines Monsters triffst, entsteht eine sichtbare Wunde. Diese macht die Kreatur dort verwundbarer und sorgt dafür, dass du mehr Schaden anrichten kannst. Noch besser: Schließt du mit einem besonders starken Schlag ab, wirst du manchmal mit sofortigen Material-Belohnungen belohnt. Das bringt taktische Tiefe und visuelles Feedback in die Kämpfe, auch wenn es nach ein paar Stunden zur Routine wird.
Jedoch bleibt auch hier die Frage: Warum mussten Kämpfe simplifiziert werden? Selbst gigantische Feinde, die visuell Furcht einflößen, verloren schnell ihren Schrecken, da ihre Bewegungsmuster oft vorhersehbar bleiben. Es fühlt sich an, als hätte Capcom absichtlich die Gefahr aus den Kämpfen genommen, um neue Spieler nicht zu überfordern. Für Serien-Veteranen wird dies nach rund 20 Stunden zu einer lästigen Vereinfachung.
Seikret-Mounts: Schnell, nützlich, aber wo bleibt die Immersion?
Das Seikret-Mount bietet dir nicht nur die Möglichkeit, in Windeseile zur nächsten Missionszone zu gelangen, sondern auch auf eine Zweitwaffe zuzugreifen. Klingt auf dem Papier wie eine sinnvolle Erweiterung – doch in der Praxis war der Nutzen gering. Besonders als eingefleischter Schwert-Schild-Nutzer habe ich nur selten den Drang verspürt, während einer Jagd auf meinen Bogen zu wechseln. Für Spieler, die mehr Flexibilität suchen, ist dieses Feature sicherlich interessant, aber ich hatte oft das Gefühl, dass eine klassische Vorbereitung vor der Jagd deutlich mehr Charme hatte.
Das automatische Reiten zu Zielen hat den positiven Nebeneffekt, dass du schneller in die Action gelangst, aber es nimmt ein wichtiges Element der Jagd-Erfahrung: das Erkunden auf eigene Faust. Wenn du einfach zum Monster „chauffiert“ wirst, fühlt sich das eher wie eine Checkliste an, statt wie ein Erlebnis.
Technik: Atemberaubend, aber nicht fehlerfrei
Die Verbotenen Lande sehen fantastisch aus – wenn man genauer hinschaut. Neue Umgebungen und Monster sind besonders beeindruckend gestaltet, und der dynamische Wechsel der Jahreszeiten bringt die Welt zum Leben. Doch bei manchen Assets zeigt sich Capcoms Alter. Ältere Monster-Modelle und Texturen wirken teils plump und uninspiriert, was den Gesamteindruck schmälert. Es ist, als hätte jemand ein Puzzle aus neuen und alten Teilen zusammengesetzt.
Während das Spiel auf einem High-End-PC butterweich läuft, kämpfen Konsolen mit Performance-Problemen. Besonders die Framerate-Einbrüche während intensiver Wetter-Szenen können den Spielfluss stören. Doch selbst auf der PS5 bleibt das Spiel spielbar, und Probleme treten hauptsächlich während nicht-kritischer Passagen auf.

Ein großes Lob gebührt Capcoms Musik-Team: Der Soundtrack ist ein Meisterwerk. Von epischen Kampfthemen bis hin zu atmosphärischen Klängen in den Biomen passt die musikalische Untermalung perfekt zur jeweiligen Situation.
Multiplayer und Endgame: Viele Stunden, wenig Herausforderungen
Der Multiplayer wurde massiv verbessert und bietet Optionen für riesige Lobbys mit bis zu 100 Jägern. Crossplay funktioniert nahtlos, und schnelle Matchmakings sorgen dafür, dass du keine Zeit verlierst.
Nach etwa 30 Stunden ist das Hauptspiel durch, und das Endgame beginnt. Doch hier zeigt sich eine der größten Schwächen von Wilds. Veteranen schätzen die Serie besonders für den Grind – das stundenlange Farmen von Materialien und das Arbeiten auf die perfekte Ausrüstung. Doch in Wilds fällt dieser Aspekt fast vollständig weg. Die Kämpfe werden einfacher, die Notwendigkeit für bessere Ausrüstung verschwindet, und das Endgame wirkt mehr wie eine optionale Zugabe.